Heho,
Heute gibt es mal ordentlich etwas zu lesen. Wir haben Interactive Storytelling und sollten bisher zwei verschiedene Texte verfassen. Der eine war eine Kurzgeschichte, in dem es darum geht, das jemand vom Dach springen möchte und ein anderer ihn aufhalten möchte. Im zweiten sollten wir einen Dialog schreiben, bei dem es ebenfalls um Selbstmord gehen sollte. Viel Spaß beim Lesen!
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Kurzgeschichte "Hochhaus"
„Sonja hatte Recht, ich hatte es verdient zu sterben und nun war ich auf das Wright Building gegangen, auf das höchste Gebäude der Stadt, um es zu beenden.“ Thomas stöhnte genervt auf, als dieser inner Monolog aus den kleinen Boxen vor dem Schaufenster des Elektronikgeschäftes ertönte. „Du denkst, du hast Probleme? Dann studier mal Mathematik…“, murmelte er dem kleinen Mann im Fernseher zu, ehe er sich wieder dem Heimweg zuwandte.
Thomas seufzte. Was für ein Tag. Müde massierte er mit einer Hand seinen Nacken, während er mit der anderen den schweren Rucksack hinter sich herzog, in denen seine Bücher und Ordner lagen. Nach einem langen Tag hatten sie die schlimme Angewohnheit so schwer wie Backsteine zu werden. Er ließ seine Schultern hängen und schlurfte so kraftlos und deprimiert durch die Straße, das Eltern ihre Kinder an den Schultern packten und auf die andere Straßenseite wechselten.
Das Hochhaus, in dem die gemeinsame Wohnung mit seinem Kumpel Hannes lag, ragte vor ihm in die Luft. Noch wenige Meter und die Eingangstür war zum Greifen nahe. Thomas erlaubte sich ein schmales Lächeln. Süßer Wohnungsmuff, dachte er, ich komme!
Voller Vorfreude glitt sein Blick nach oben zur dem schmalen Fenster, das eher selten geöffnet wurde um frische Luft in sein Heim zu lassen. Er erwartete eine dreckige Glasscheibe im zehnten Stock, durch die man kaum noch blicken konnte. Stattdessen stand dort eine dürre Gestalt auf dem schmalen Fenstersims, schwankte gefährlich hin und her und drohte zu fallen. Thomas seliger Endlich-Feierabend-Blick verwandelte sich nur langsam, da sich die neue Information durch ein müdes Gehirn kämpfen musste. Doch nach einigen Sekunden realisierte er das Geschehen. Seine Augen nahmen langsam die Größe von Tischtennisbällen an und sein Unterkiefer demonstrierte eine Leistung, die bei jeder Schlange neidische Blicke verursacht hätte. Ein gurgelndes Geräusch war das einzige, was seiner Kehle entwich, ehe er ein entsetztes „H-Hannes?!“, stotterte. Nach einer viel zu langen Zeit reagierten schließlich auch seine Drüsen, schickten die richtigen Hormone aus und setzten die müden Beine wieder in Bewegung.
Thomas ließ seinen Rucksack zurück, preschte auf die Tür zu und drückte die Klinke runter. Abgeschlossen. Ein krächzendes Geräusch entrang sich Thomas Kehle. Noch nie hatten seine Finger so hektisch und ungeschickt nach den Schlüsseln gesucht, die die Angewohnheit hatten, sich jedes Mal in einer anderen Tasche zu verstecken. Doch dann fand er den Bund. Klimpernd suchte er nach dem Haustürschlüssel und wollte ihn gerade in Schloss rammen, als sich die Tür von alleine öffnete. Eine ältere Dame schob sich betont langsam an ihm vorbei, lächelte ihn an und sagte „Guten Abend, junger Mann.“ Als Antwort erntete sie einen entsetzten Blick, der die widerlichsten Monster des grausamsten Horrorfilms in die Flucht geschlagen hätte. Die Dame schnaubte verächtlich, murmelte etwas von wegen „Diese Jugend von heute.“ und ging weiter, während Thomas durch die Tür eilte und auf den Aufzug zusteuerte. Ein Mittvierziger im Blaumann hockte davor, schloss gerade eine überdimensionierte Werkzeugkiste und seufzte demonstrativ.
„Platz da!“, röchelte Thomas.
„Ma ruhig, Jungchen. Wat haste vor?“, entgegnete der Mann.
„Ich… muss da rein! Hoch! Aufzug!“
„Der ist kaputt.“
„Arghl!“, machte Thomas, drehte sich geschickt um und preschte in das Treppenhaus. „Vorsicht, frisch gewischt!“, rief der Blaumann ihm hinterher.
Er konnte sich nicht erinnern jemals eine derartige sportliche Leistung erbracht zu haben. Es war fast so als ob die Vorstellung eines zerschmetterten Hannes auf der Straße einen Haken in seinen Bauch gebohrt hatte, der an einer Kette die Treppe hochgezogen wurde. Thomas hatte den siebten Stock keuchen erreicht, als sich ihm eine Holzstange in den Weg stellte. Ein Wesen, das nicht weiter als menschlich beschrieben werden kann, sondern höchstens als Aasgeier auf zwei Beinen und mit Blumenschürze, schob sich ihm in den Weg und funkelte ihn böse an.
„Ich hab grad frisch gewischt!“, meckerte sie los.
„Frau Meier, ich bitte Sie, ich…“, fing Thomas verzweifelt an.
„Was fällt Ihnen eigentlich ein?“, krächzte sie.
„Frau Meier, ich hab wirklich keine Zeit, ich…“
„Das werde ich dem Vermieter melden, so geht das ja nu ni…“
Thomas Faust hatte für einen Moment ein Eigenleben entwickelt und in diesem kurzen Moment entschlossen, der Tyrannei mit einem gezielten Schlag ein Ende zu setzen. Frau Meier fiel zu Boden und blutete hingebungsvoll aus ihrer Nase.
„Oh scheiße…“, murmelte Thomas entsetzt und wollte ihr gerade aufhelfen, als ihm die Genugtuung auffiel, die sich in ihm breit machte. „Ach egal…“, entschied er schließlich, übersprang die ohnmächtige Putzfrau und eilte so schnell wie möglich die letzten Stockwerke hinauf.
Ein Hindernis blieb: Die Wohnungstür. Thomas hielt sich nicht damit auf den richtigen Schlüssel zu finden. Er nahm Anlauf, spannte seine Muskeln an und lief los. Er hatte erwartet dass er vom Holz abprallen würde, doch die Tür gab tatsächlich nach und somit den Weg frei. Er landete mit zersplittertem Holz in einigen, leeren Lebensmittel-Verpackungen, die den gesamten Boden der Wohnung bedeckten. Schnell sprang er wieder auf und eilte zum Fenster.
Hannes war noch nicht gesprungen. Thomas Freund stand draußen auf dem Sims vor dem Fenster, lächelte zufrieden und winkte ihm zu. „Was zum…?“, fragte Thomas sich selbst. Er öffnete den Fensterverschluss und klappte es nach oben. Hannes sprang herein.
„Hey Thomas, wie geht’s?“
„…Wie es mir geht?! Was zum Teufel sollte diese Aktion?“
„Ich wollte frische Luft schnappen und habe mich dafür auf den Fenstersims gestellt, als das Fenster hinter mir zuschnappte.“
„Auf den Sims? Bist du völlig bescheuert?“, rief Thomas entsetzt.
Hannes zuckte mit den Schultern. „Ich glaube, wir brauchen eine neue Tür.“, sagte er.
Dienstag, 23. Juni 2009
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